Montag, 15. Februar 2016

Fremde Mächte – Mes amours



Eine kurze Geschichte von Orbáns Paranoia


Zu Orbáns Kommunikationsstrategie gehören neben diversen indianischen Weisheiten (1) auch die Kreation von Wir und Ihr, wie sich das für politische Verführer gehört. Sowie die ständige Unterstellung, dass seine politischen Gegner oder einfach nur Andersdenkende zu keinen eigenständigen Entscheidungen imstande sind. Hinter jeder Regung gegen das inzwischen schon stark ins Faschistische driftende System stecken, glaubt man der offiziellen Kommunikation, irgendwelche fremden Mächte. Es handelt sich dabei um ein (ur)altes Narrativ, das stets hervorragend dazu geeignet war, die weniger kritischen oder schlecht informierten Menschen vom eigenen (Un)Recht zu überzeugen. Es folgt ein kurzer Überblick über Orbáns geheime Lieben, die zu gegebenem Zeitpunkt am besten ausschlachtbaren, imaginierten fremden Mächte.

Lehrerdemo, 13. Feber 2016
Quelle: magyarnarancs.hu

Wie Pusztaranger bereits berichtete, mündeten die jüngsten Proteste zahlreicher ungarischer Schulen wegen der unhaltbaren Zustände, die durch die Zentralisierung des ungarischen Schulwesens entstanden, am letzten Samstag in einer großen Demonstration vor dem Parlament. Orbán hatte zuvor versichert, dass im Bildungssektor alles in die richtige Richtung gehe und man nur kleine Kurskorrekturen vollbringen müsse. Deshalb verstehe er die Aufbegehr der Lehrer nicht und ahne fremde Fädenzieher im Hintergrund.
„Seien wir ehrlich, es ist doch unrealistisch, dass Olivér Pilz in Miskolc eines schönen Morgens aufwacht und bemerkt, dass er eigentlich extrem unzufrieden ist und plötzlich Briefe schreibt und demonstriert“, mit diesem Satz erklärte Orbán sich die Welt.
[Olivér Pilz ist der Lehrervertreter des Herman-Otto-Gymnasiums in Miskolc; diese Schule schrieb einen offenen Brief, dem sich landesweit mehrere hundert Schulen anschlossen.]


Auch diesmal war György Soros der Watschenmann vom Dienst, die Demonstrierenden stünden im Sold von Soros, hieß es in einer offiziellen Aussendung des CÖF [Stiftung für zivilen Zusammenhalt; ein Verein orbántreuer Intellektueller], die über die ungarische Presseagentur MTI ging. (Quelle)


Verschaffen wir uns einen kurzen Überblick, wer in Orbáns Welt in den letzten 10 Jahren als Erklärung herhalten musste, wenn es nicht so lief wie er und seine Mannen es wollten.

Die Linken sind schuld!

Im Jahr 2005, ein Jahr vor der wiederum verlorenen Wahl, meine Orbán in Bad Tuschnad/Rumänien, dass die ungarischen Linken, wann immer sie die Möglichkeit dazu hätten, die eigene Nation angreifen würden. Dabei führte er Rákosis Terrordiktatur der 1950er Jahre als Beispiel an. (Quelle)

Geheimdienste intrigieren im Hintergrund!

Belagerung des Fernsehgebäudes
Quelle: nol.hu/archivum/archiv-435507-244322
2006 ging es wild zu. Zuerst die „Lügenrede“ des damaligen Ministerpräsidenten Ferenc Gyurcsány, auf diese folgten die Unruhen im Oktober des Jahres in Budapest. Man entführte einen Panzer, der in Gedenken an den Volksaufstand 1956 aufgestellt war, zündete Mistkübel an und „belagerte“ das Fernsehgebäudes, in das man später auch eindrang; „Freiheitskämpfer“ brachen dort einen Turó-Rudi- und einen Schokoladenriegelautomaten auf und ließen einige Computer mitgehen.
Orbán meinte damals: „…es muss untersucht werden, ob nicht all das, was in den letzten Tagen geschehen ist, eine von der Regierung im Voraus geplante und durchgeführte Geheimdienstaktion ist oder Teil einer solchen.“ Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Fußballhooligans bzw. Rechtsextremen, die für diese Aktionen verantwortlich waren, wahrlich gesteuert wurden, und zwar von fidesznahen Leuten wie Tonaufnahmen beweisen (Jobbik existierte damals schon, es war aber eher aus den Bürgerkreisen der Fidesz hervorgegangen und weniger aus MIÉP.) Die genauen Zusammenhänge werden wohl, wenn überhaupt, erst in der Zeit nach Fidesz aufgeklärt werden können. (Quelle)


Nieder mit den Offshore-Rittern!

Schon kurz nach der Machtübernahme 2010 wird András Simor, Generaldirektor der ungarischen Notenbank, bedrängt, um ihn zum Rücktritt zu bewegen, damit Orbán über die Bank Kontrolle erlangt. Er meinte, „die Notenbank darf kein Unterschlupf für Offshore-Ritter sein“. (Der Generaldirektor hatte ein Konto im Ausland.) (Quelle)

Schleich dich, IMF!

Toroczkai auf dem Weg zum IMF (Quelle)
Im Jahr 2012 galt es über einen neuen Kredit des Internationalen Währungsfonds zu entscheiden, es wurde gezögert, weil man fürchtete, dass der IMF die Bedingungen diktiert. Es gab Verhandlungen und einen medialen Schlagabtausch, der spätere Finanzminister Mihály Varga meinte:
„… wir werden wiederum von fremden Mächten bedrängt, wieder machen uns fremde Interessen Probleme“. Damals gab es auch schon blaue Regierungsplakate mit den Worten: „Was erwarten wir vom IMF?

Respekt, Vertrauen!“
In diesem Jahr versuchten auch László Toroczkai (er ist heute Bürgermeister in Ásotthalom, an der serbischen Grenze und macht Migrantenjagden) und einige seiner Gefolgsleute in das Budapester Büro des IMF einzudringen und zündeten dabei Schweizerkracher. (Quelle)

Der Liberalismus ist eine Seuche!

2014 gibt Orbán wiederum in Bad Tuschnad der Welt zu verstehen, dass es für die Welt besser sei, despotisch regiert zu werden. Er meinte – kurz zur Erinnerung -, die Staaten, die auf liberaler Demokratie fußen, seien zum Scheitern verurteilt, die „illiberalen“ entwickelten sich schneller. „Wir müssen mit dem liberalen Verständnis der Gesellschaft brechen“. 
In der Rede werden mehrere Feindbilder strapaziert: die Eurokraten (die viel mehr verdienten als die normalen Beamten) sowie die Zivilgesellschaft, die sich fast nur aus „vom Ausland bezahlten politischen Aktivisten“ zusammensetze. Wenig später wurde dann auch die Geschäftsführerin einer Stiftung verhaftet, die mit der Verteilung von Geldern der Norway Grants betraut war, die eine wichtige Geldquellen von Menschenrechtsvereinen bis zum Tilos-Rádió sind.

Europäische Linke und radikale amerikanische Demokraten

Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 sprach János Lázár, Orbáns Stellvertreter, davon, dass die Flüchtlinge (in der ungarischen Propaganda: Migranten; auch „megélhetési bevándorló“, „jene, die einwandern, um besser zu leben“, hat die Konnotation „Parasit, Schmarotzer“) einen „Einheitsrucksack und Einheitsanweisungen“ erhielten, was kein Zufall sein könne. Diese linke Aktion (die Einschleusung von Flüchtlingen nach Europa) sei dazu gedacht, meinte Orbán, die Nationalstaaten zu relativieren, und dagegen müsse man auftreten. Die Drahtzieher seien die europäische Linke und die radikalen amerikanischen Demokraten. (Quelle)

Der Islam ist die größte Gefahr!

Orbán respektiere zwar den Islam, doch in absehbarer Zukunft würden die Muslime in Europa in der Mehrheit sein und wenn Europa einen Wettbewerb der Kulturen zulasse, würden die Christen den Kürzeren ziehen. So formulierte er gegenüber der Bild-Zeitung, im Focus-Magazin erklärte er: „Der Islam war niemals ein Teil Europas, er ist hier eingedrungen.“ (Bild), (mandiner.hu)


Die Migrantenhelfer und György Soros

Während der Flüchtlingskrise meinte Orbán im Parlament, die Regierung würde die Zivilgesellschaft bei der Flüchtlingshilfe unterstützen. Migration Aid, die Gruppe, die den Löwenanteil der Arbeit rund um den Budapest Ostbahnhof leistete, meinte, dass dies nicht zutreffe. Fidesz meinte daraufhin in einer Presseerklärung, man könne Migration Aid nicht mit öffentlichem Geld unterstützen, weil die Gruppe intransparent sei [und es wohl auch nicht nötig sei], da György Soros die anfallenden Ausgaben [sicherlich] großzügig übernehme. (Quelle)

Ein Schwert und drei Gegner

Bei einem Gespräch im Bibó-Kollegium, einer Arbeitsgemeinschaft der Jus-Studenten der Budapester ELTE-Universität, sprach Orbán voriges Jahr davon, wie sich ein guter Führer zu verhalten habe: „Wenn ich auf freiem Feld stehe mit einem großen Schwert in der Hand und drei stürmen auf mich zu, dann spiele ich nicht den Moralapostel oder den Besserwisser, dann gibt es nur eine Aufgabe: die drei niederzumähen.“
Die Halbmonde kommen!
Quelle
Die Feinbilder erfüllten geopolitische Zwecke: „Die Rumänen sind doppelt so viele wie wir. Die Slawen sind, wenn sie sich gegen uns verbünden, um viele mehr. Wenn die Halbmonde von Süden kommen, dann gibt’s Probleme, denn die Deutschen marschieren, gibt’s auch Probleme und wenn die Russen über die Karpaten kommen, gibt’s auch Probleme.“ Und machtpolitische: „Wenn sich alle zu einem Lager verbünden und du nicht deine eigene Gegenwehr organisieren kannst, werden sie dich zertreten. Das ist ein Kampf und du weißt genau, dass sie dir auf den Brustkorb steigen werden. Dann musst du nationale Konsultationen machen, Massenversammlungen, du musst irgendwas von Seiten des Volkes einbringen, das du der Gegenallianz präsentieren kannst.“ (Quelle)

CP



(1) Orbán spickte seine Reden seinerzeit gerne mit Weisheiten, besonders mit welchen der Dakota-Indianer.

*Das Vertrauen kommt stets zu Fuß, aber galoppiert auf dem Pferderücken davon (Ende 90er Jahre)

*Wenn du auf einem toten Pferd sitzt, steig ab. (7. Sept. 1999)

*Was nicht kaputt gegangen ist, muss man nicht reparieren (Mai 2002) (Quelle)
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