Montag, 24. Februar 2020

Militarisierung der ungarischen Gesellschaft


Übersetzung des Artikels von hungarianspectrum vom 19. Feber 2020

István Simicskó, zu Beginn seiner politischen Laufbahn Mitglied der Phantompartei KDNP, war von September 2015 bis 2018 Verteidigungsminister, heute ist er als Regierungsbeauftragter für die patriotische und militärische Erziehung der jungen Generation verantwortlich. Ihm wurde im Jahr 2015 das Verteidigungsressort übertragen, nachdem sein Vorgänger Csaba Hende nicht in der Lage war, Viktor Orbáns Forderung nach einem Grenzzaun innerhalb kurzer Zeit zu erfüllen. 2018 wurde Simicskó vom Vier-Sterne-General und Stabschef, Tibor Benkő beerbt.
Ausbildung im Károly Kratochvil Militärgymnasium
Quelle: facebook

Simicskó begann sich erst relativ spät für Politik zu interessieren. Im Jahr 1991 trat er der Christlich-Demokratischen Volkspartei (KDNP) bei, um dann Ende 1996 zu Fidesz zu wechseln. Zwei Jahre später wurde er Parlamentsabgeordneter und zum politischen Unterstaatssekretär im Ministerium für zivile Geheimdienste ernannt. Seine denkwürdigste Handlung war sein Nein zum Beitritt Ungarns zur Europäischen Union bei der parlamentarischen Abstimmung im Jahr 2002.

Nachdem Viktor Orbán die Wahl 2002 verloren hatte, schrieb eine amerikanische Politikwissenschaftlerin einen Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs, in dem sie darauf hinwies, dass einige der neuen NATO-Mitglieder, darunter auch Ungarn, ihre Verpflichtungen gegenüber der NATO vernachlässigten. Sie fügte jedoch hinzu, dass die neue ungarische Regierung unter der Führung von Péter Medgyessy versprach, mehr für Verteidigung auszugeben. Simicskó, der zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Vorsitzender des parlamentarischen Verteidigungsausschusses war, warf der Politikwissenschaftlerin vor, mit Mitgliedern der sozialistischen Regierung unter einer Decke zu stecken. Es folgten Belästigungen der Politikwissenschaftlerin durch in den Vereinigten Staaten lebende Fidesz-Loyalisten.

Viktor Orbán ist im Allgemeinen recht großmütig jenen loyalen Politikern gegenüber, die aus dem einen oder anderen Grund „nicht gut funktioniert haben“. Für sie wird ein anderer Arbeitsplatz gefunden oder auch einer geschaffen. Das ist einer der Gründe für die unglaublich aufgeblähte Regierungsbürokratie. Lieblingstrostpflaster für die Gefallenen ist eine Stelle als „Regierungsbeauftragter“. So wurde Simicskó Regierungsbeauftragter für patriotische und militärische Erziehung. Darüber hinaus wurde er zum Vorsitzenden des Ungarischen Sportverbandes für Nationale Verteidigung (Magyar Honvédelmi Sportszövetség/MHSZ) mit einem Jahresbudget von 1,1 Milliarden Forint gewählt.

Im Sommer 2018 waren die ungarischen Medien voll von Geschichten über Simicskós ehrgeizige „Strategie für patriotische und militärische Erziehung“. Da er ankündigte, sich vor allem auf Schüler im Gymnasialalter zu konzentrieren, bezeichneten die Journalisten der Wochenzeitung „168óra“ das neue Programm als eine Wiederbelebung der „Levente Mozgalom“, der „Heldenbewegung“, einer Art HJ der ungarischen Zwischenkriegszeit. Das erklärte Ziel der Levente-Mozgalom war die körperliche Ertüchtigung. In Wirklichkeit wurden die Levente-Truppen jedoch geschaffen, um das im Friedensvertrag von Trianon, der für Ungarn den Ersten Weltkrieg beendete, verhängte Verbot der
Horthy auf Inspektion bei der Levente Mozgalom
Wehrpflicht zu umgehen. Obwohl der ungarische Sportverband von Simicskó viele Gemeinsamkeiten mit der Levente-Mozgalom hat, sind seine Ziele auf die heutige Zeit zugeschnitten. Es geht darum, das Interesse am Militärdienst zu wecken, da es in Ungarn ja keine Wehrpflicht mehr gibt. Simicskós Steckenpferd, die ungarische Variante der US-Nationalgarde, ist dabei eines der Ziele. Zusätzlich zu diesen pragmatischen Überlegungen hat das Programm einige „erhabenere“ Ziele, wie das „Engagement für die Verteidigung des Heimatlandes, Opfer für die Gemeinschaft und die Förderung des Freiwilligendienstes“.

Simicskó nimmt seine neue Aufgabe sehr ernst. Sein oberstes Ziel ist, das Nationalbewusstsein in künftigen Generationen fest zu verankern: „In dieser globalisierten liberalen Welt gibt es ernste Kräfte, die gegen nationale Gemeinschaften und Familien arbeiten.“
Darüber hinaus sei für ihn „als praktizierender Christ“ der religiöse Glaube eine Grundvoraussetzung des Nationalbewusstseins. Heute, da so viel über den allzu nationalistischen staatlichen Lehrplan zu hören ist, mögen wir vielleicht denken, dass die Manipulation der Geschichts- und Literaturbücher übereilt und in letzter Minute geschah. Aber schon vor zwei Jahren meinte Simicskó in einem Interview mit Magyar Idők, dass seine Aufgabe darin bestehe, dafür zu sorgen, dass die Lehrmaterialien mehr patriotische Inhalte enthalten. Er meinte, dass „der Geschichtsunterricht ein hervorragendes Mittel ist, um Material aufzunehmen, das [die Schüler] bereits unbewusst in ihren Herzen tragen“.

Seit seiner Ernennung sind zwei Jahre vergangen, doch trotz seines Eifers kann Simicskó nicht viele Erfolge vorweisen. Noch keines der militärischen Sportzentren mit Schießanlage wurde gebaut. Vielleicht wird im April oder Mai die Genehmigung für den Bau der ersten fünf Zentren erteilt: in Baja, Balassagyarmat, Újfehértó, Szarvas und Szigetvár. Noch 2017 plante die Regierung Orbán den Bau von 107 solcher Zentren, von denen 16 schon 2018 eröffnet werden sollten. Möglicherweise bleibe viele Pläne für militärische Sportzentren endgültig in der Schublade.
Ein anderes Projekt, das seit Jahren auf der Tagesordnung der Regierung steht, ist die Wiedererrichtung von altmodischen Militärschulen für Schüler von 14 bis 18 Jahren. Bislang wurde nur eine solche Militärschule eröffnet. Sie befindet sich in Debrecen und ist nach Károly Kratochvil benannt, dem Kommandeur der 1918 in Cluj/Kolozsvár/Klausenburg eingerichteten Szekler-Division, deren Auftrag es war, die rumänischen Truppen zurückzuhalten.

Die Regierungspropaganda spricht vom großen Erfolg der Schule und das Verteidigungsministerium plant die Eröffnung von zwei weiteren Militärakademien, einer in Hódmezővásárhely und einer in Székesfehévár. Die Militärakademie in Debrecen war letztes Jahr Schauplatz von sexuellem Missbrauch, das sei nur nebenbei gesagt.
Die ungarische Armee organisiert auch militärische Sommerlager für Kinder im Alter von 12 bis 18 Jahren. Aus den ungarischen Medien erfährt man relativ wenig über sie, aber es gibt eine ausführliche englischsprachige Beschreibung der Lager in The Guardian, die von einem wohlwollenden Beobachter verfasst wurde.

Die Militarisierung der ungarischen Gesellschaft schreitet voran. Bisher sind die Bemühungen erst in Trippelschritten vorangekommen, aber vielleicht wird schon bald mit mutig festem Schritt marschiert. Schließlich muss sich Ungarn gegen eine Vielzahl von Feinden verteidigen. Wer genau sie sind, ist unklar und kann morgen schon ganz anders sein, vielleicht sind es die „Kommunisten mit Universitätsabschluss“ (die Liberalen laut Orbán), vielleicht Migrantenhorden, vielleicht widerspenstige Nachbarn.

Deutsche Übersetzung: Pusztastranger

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